Cisgender: Ich fühl mich gut so, wie ich bin

Was ist Cisgender? Ich will mal etwas Aufklärung betreiben, was das Wort eigentlich bedeutet, wo es herkommt und warum wir es benutzen.
"Gender is a spectrum" auf rosa Hintergrund gelegt mit Buchstabensteinen

Folgend werden die persönlichen Erfahrungen und Meinungen eines unserer Mitglieder von Viamor.de wiedergegeben...

Es gibt eine Gruppe, von der die überwiegende Mehrheit gar nicht weiß, was cisgender eigentlich bedeutet. Und das sind die, die selbst cisgender sind. Ich will daher mal etwas Aufklärung betreiben, was das Wort eigentlich bedeutet, wo es herkommt und warum wir es benutzen. Wenn ich Geschlechter und Pronomen weglasse, so bitte ich, das nicht als Ignoranz zu verstehen. Es dient einfach nur der einfacheren Lesbarkeit. Mit "er" meine ich also "der Mensch" und nicht "der Mann".

Was bedeutet cisgender?


Jemand ist cisgender, wenn er oder sie sich als das Geschlecht fühlt, mit dem die Person geboren wurde. Die Definition geht sogar noch weiter. Jemand gilt als cisgender, wenn er sich dem Geschlecht zugehörig fühlt, das ihm bei der Geburt zugewiesen wurde. Damit sind auch Menschen von dem Begriff umfasst, die Geschlechtsmerkmale beider Geschlechter haben und denen bei der Geburt eines der Geschlechter zugewiesen wurde. Fühlen diese sich auch als diesem Geschlecht zugehörig, sind sie cisgender.

Der Begriff selbst ist 30 Jahre alt, erlangte jedoch erst kürzlich eine relativ weit verbreitete Bekanntheit. Erfunden hat ihn Volkmar Sigusch, ein Psychiater und Sexualwissenschaftler aus Deutschland. Zuerst benutzte er den Begriff 1991 in seinem Artikel "Die Transsexuellen und unser nosophormer Blick" in der "Zeitschrift für Sexualforschung" (Heft 3 - 4, 1991, S. 225–256, 309–343).

Die Geschichte des Cisgender


Am Anfang schrieb sich cisgender noch als "zisgender" und wurde erst im Laufe der Zeit internationalisiert. Die Vorsilbe "cis-" kommt aus dem Lateinischen und bedeutet "diesseits". Sie ist damit das Gegenteil von "trans-", was "jenseits" bedeutet". So langsam versteht ihr sicher die Logik hinter dieser Wortkreation. Wenn es Menschen gibt, die jenseits ihrer zugewiesenen Geschlechteridentität leben, muss es auch Menschen geben, die diesseits davon leben. Das dachte sich auch Volkmar Sigusch, als er den Begriff cisgender einführte. Ein Mann, der als Mann geboren wurde und sich als Mann fühlt, kann daher als Cismann bezeichnet werden. Eine Frau, die als Frau geboren wurde und sich als Frau fühlt, ist demnach eine Cisfrau.

Anders, als ich Englischen, gibt es in der deutschen Sprache keinen eindeutigen Unterschied zwischen dem biologischen Geschlecht (englisch "sex") und der Geschlechtsidentität (englisch "gender"). So ist es kaum verwunderlich, dass der Begriff erst in die USA exportiert und von dort wieder nach Deutschland zurückgebracht wurde. Deshalb schreiben wir cisgender heute mit C. Es gibt das Substantiv Cisgender für die "zuweisungskonforme Geschlechteridentität", aber auch das Adjektiv sowie das Adverb cisgender. Heutzutage wird meist der Adjektiv benutzt, weswegen ich das Wort hier auch meist klein schreibe. Will man Cismänner und Cisfrauen als Gruppe zusammenfassen, nennt man sie Cismenschen oder auch Cisgender.

Warum sagen wir "cisgender" anstatt "normal"?


Hier wird es jetzt etwas tricky. Die große Mehrheit der Cisgender wissen nicht einmal, was das Wort überhaupt bedeutet. Sie verstehen auch nicht, warum sie für sich selbst einen neuen Begriff bräuchten. Um das zu verstehen, müssen wir uns kurz aus der Einteilung herauslösen und von außen draufschauen. Da es jetzt ausschließlich um die sexuelle Identifikation und nicht um die Vorlieben geht, benutze ich für die Unterscheidung jetzt Trans und nicht Queer.



Stellen wir uns mal vor, wir würden von oben auf die Menschheit schauen und zwei Gruppen sehen. Die einen sind die, die sich so fühlen, wie sie geboren wurden, die Cisgender. Die anderen sind die, die sich als das andere Geschlecht fühlen, die Transgender. Wir picken uns einen Cismann heraus. Der fühlt sich als Mann. Und er versteht nicht, warum er sich als cisgender bezeichnen sollte. Jetzt picken wir uns einen Transmann aus der anderen Gruppe. Dieser wurde laut Geburtsurkunde als Frau geboren, fühlt sich aber als Mann. Ob er jetzt auch transgeschlechtlich ist, lassen wir mal außen vor.

Ein Transmann kann sich selbst als Mann oder Transmann bezeichnen. Letzteres betont, dass er sich zu seiner von der Zuweisung abweichenden Identität bekennt. Es geht auch ein gewisser Stolz davon aus, sich als Transmann oder Transfrau zu bezeichnen. Aber inwiefern betrifft das den Cismann? Warum sollte dieser sich als Cismann bezeichnen, wenn er sich einfach nur als Mann fühlt? Hier greift jetzt die Anerkennung der persönlichen Lebensgeschichte des Individuums. Mit der jeweiligen Vorsilbe wird der Mensch nicht nur so anerkannt, wie er gerade jetzt ist, sondern auch sein Lebensweg.

Nehmen wir mal unsere beiden Männer begrifflich auseinander: Trans-Mann und Cis-Mann. Das Wort "Mann" sagt uns, dass heute beides Männer sind. Die Vorsilbe "trans-" sagt uns, dass der Transmann früher als Frau galt und sich seiner eigenen Identität angepasst hat. Und die Vorsilbe "cis-" sagt uns, dass der Cismann von Geburt an als Mann gilt und sich in der Rolle wohl fühlt. Cisgender dient also weniger der Identifikation, als vielmehr der Anerkennung der persönlichen Geschlechtsidentität. Es ist ein Ausdruck der persönlichen Gefühle. Wenn ich sage, dass ich ein Cismann bin, sage ich, dass ich mich damit wohlfühle, als Mann geboren worden zu sein.

Cisgender dient der Anerkennung der Transgender


Der noch viel wichtigere Grund, Cisgender als solche zu bezeichnen, ist die Anerkennung der Unterschiede. Integration bedeutet nämlich nicht, dass alle gleich sind und gleich behandelt werden. Integration bedeutet, die Unterschiede zwischen uns anzuerkennen. Unsere Unterschiede sollten kein trennendes Mittel sein, sondern ein einendes. Eine kleine Punkband namens "Second Rate" hat in den 90ern gesungen "Sind wir nicht alle Menschen".

Die Cisgender reihen sich also in die Gruppe der "Anderen" ein. Wer sich selbst als Cismann oder Cisfrau bezeichnet, tut dies nicht, weil er (oder sie) eine andere Identität braucht, sondern als Aussage für all jene, die nicht cisgender sind. Man drückt den Respekt für die Transgender aus, indem man ihnen zeigt, dass man sich nicht scheut, als Cisgender aufzutreten. Wir sind alle Menschen. Du bist trans, ich bin cis. Du bist homo, ich bin hetero. Du bist groß, ich bin klein. Du bist grün, ich bin blau. Wir sind alle ein Bisschen bluna.

Die Verwendung des Begriffs "cisgender" bedeutet daher nichts anderes als "Es ist normal, anders zu sein". Wenn wir Cisgender uns so bezeichnen, dann tun wir das nicht, um uns abzugrenzen. Wir tun das, um denen, die nicht cisgender sind, zu sagen, dass wir alle Teil der Menschheit sind. Tatsächlich verstehen die LGBTQI+ Menschen das oft noch schneller, als die Cisgender selbst. Denn für uns ist es eine Umkehr der Betrachtung: Wir brauchen die Bezeichnung nicht, um uns als Mann oder Frau zu sehen. Erst, wenn wir verstehen, dass wir damit ein Teil der Community werden, die anderen anerkennen und respektieren, macht es für uns Sinn, Cisgender zu sein.

Und mit diesem Verständnis für die Community wird irgendwann allen klar: Auch Cis ist Queer. 
Autor*in: Anonymes Mitglied von Viamor

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